Harmonie
Zum Fest der Heiligen Familie, 28. 12. 2008
Liebe Mitchristen, Kinder, Jugendliche und Erwachsene!
Der Sonntag, der dem Weihnachtsfest folgt, ist das Fest der Heiligen Familie. So will es die liturgische Ordnung unserer Kirche. Sie lenkt den Blick bewusst auf das Zentrum der Krippe. Es ist, als würden das Hirtenvolk und seine Tiere für einen Moment ausgeblendet. Im Rampenlicht stehen „nur“ - ausschliesslich - Maria und Josef mit dem Kind.
Zu meiner Kinder- und Jugendzeit bedeutete die Heilige Familie von Nazareth der Prototyp einer guten katholischen Familie. Als Kind habe ich dies nie hinterfragt und später… ja, später, da konnte ich damit nichts mehr anfangen. Wie kann ein Paar, das im biologischen Sinne nicht einmal richtig zusammen war, Vorbild sein für ein Ehepaar von heute? Wie kann man das Kind im Stall von Bethlehem - und später den heranwachsenden Knaben Jesus - der Sohn Gottes ist, mit einem Lausbuben vergleichen, wie es die meisten Knaben sind?
Irgendwie - bei aller Hochachtung vor der Heiligen Familie - stimmte für mich diese Vorbildfunktion nicht und schien mir nicht griffig für meine Vorstellung von einer guten Familie.
Dieser Vorbehalt wurde mit einem ganz besonderen Erlebnis über den Haufen geworfen. Als junger Priesterseminarist war ich einmal in einem abgelegenen Bergtal, im Schächental, in einer Alphütte, um für die bevorstehenden
Prüfungen zu lernen. Um den Kopf etwas durchzulüften, begab ich mich hin und wieder auf eine kleine Wanderung. Die Leute im Schächental waren arm und manch ein Bergbauer musste den Lebensunterhalt für seine Familie durch einen Nebenerwerb aufbessern. Einen solchen traf ich an vor seiner Alphütte. Ich sehe ihn noch vor mit seinem struppigen Bart und der dampfenden Tabakpfeife im Mund. Er hielt ein Stück Holz in der Linken und schnitzte mit seinem Messer daran herum. Gesprächigkeit ist nicht gerade das Markenzeichen der Schächentaler, besonders Fremden gegenüber. Als wir dann doch ins Gespräch gekommen waren, fragte ich ihn, was er hier Schönes schaffe… „Eine Heilige Familie!“ das sei sein Lieblingsmotiv… Später zeigte er mir dann das eine und andere Stück, dass er bereits in verschieden Grössen und Ausführungen geschaffen hatte. Als ich bemerkte, wie fein die Gesichter geschnitzt waren und jedes seinen eigenen Ausdruck hatte, da schmunzelte der inzwischen etwas aufgetaute Bergbauer und antwortete: „Jedes Gesicht ist im Holzstück bereits enthalten. Es ist meine Aufgabe, es sorgfältig herauszuholen und die Harmonie zwischen den drei Gesichtern herzustellen!“ Zum Schluss, als er erfahren hatte, dass ich bald zum Priester geweiht würde, schenkte mir der knorrige, aber tieffromme Bergler diese kleine Figur (der Heiligen Familie).
Ja, seither gehe ich das Geheimnis der Heiligen Familie ganz anders an. Der schnitzende Bergbauer hat gesagt, jedes Gesicht sei schon im Holzklotz enthalten, er müsse es nur sorgfältig herausholen! Das ist die Aufgabe in einer christlichen Familie. Jeder muss dem anderen helfen, sein Gesicht zu finden. Und was ist das eigene Gesicht? Es ist das eigene „Ich“ bzw. das „Du“, das sich zu Entfaltung bringen muss. In einer guten Ehe müssen sich die Partner helfen, sich Raum zu geben für die eigene Entwicklung im guten Sinn. Ich meine jetzt nicht, dass man einem gefährlichen Ego-Tipp frönen soll. Da ist eine Ehe auch bald am Ende, genauso, wie wenn das „Du“ eingeengt wird und im keine Luft zum Atmen bleibt und kein Raum zur Entfaltung.
Wie der Schnitzer auch das Gesicht des Kindes sorgfältig freilegt aus dem Holzstück heraus, so ist es die Aufgabe der Eltern, den Kindern zu helfen, ihr Gesicht, das heisst - ihre Persönlichkeit zu finden; ihnen Raum zu geben für eine gesunde Entwicklung. Da ist weder gemeint, eine antiautoritäre Welle reiten zu müssen noch unterdrückende Autorität walten zu lassen. Von Sorgfalt hat der schnitzende Bergbauer gesprochen… Sorgfalt: In Sorge (in Verantwortung) zur Entfaltung helfen! Das ist die Aufgabe christlicher Eltern; wie Maria und Josef dem heranwachsenden Jesus geholfen haben… auch wenn sie, wie andere Eltern, nicht immer alles verstehen konnten. Denken wir nur an den wiedergefundenen Jesus im Tempel mit der bangen Frage Mariens: Kind, warum hast du uns das angetan? Dein Vater und ich haben dich voller Sorge gesucht!“
Eine solche Figur, wie alle Darstellungen der Heiligen Familie, strahlt Harmonie aus. Ja, der Bergbauer hat gesagt, dass seine Kunst darin bestehe, die Harmonie zwischen den Dreien (Maria, Josef und dem Kind) zu schaffen. HARMONIE ist das Stichwort! Vor zwei Wochen war ich mit einer prominenten Persönlichkeit unterwegs. Wir fuhren in einen neuen Audi, es war ein äusserst hoch technisierter Wagen, von Regensburg nach München (Keine Angst, ich will nicht angesichts der Finanz- und Wirtschaftskrise die Predigt missbrauchen, um der angeschlagenen Autoindustrie auf die Beine zu helfen. Das wäre kaum möglich, weil ich nämlich von Autos so gut wie nichts verstehe). Ich verstand nur soviel, dass ich in einem besonderen Auto sass mit einem ausgeklügelten System… Und meine prominente Fahrerin muss bald gecheckt haben, dass man mit mir nicht über Autos reden kann…, sodass wir uns anderen Themen zuwandten. Irgendwie kamen wir darauf, dass wir beide harmoniebedürftige Menschen sind. Doch wir waren uns schnell einig: HARMONIE JA! Aber nicht um jeden Preis. Und das ist wiederum eine grosse Herausforderung in der Familie von heute. Viele Eltern lassen Manches zu, was ihrer ethischen und moralischen Überzeugung widerspricht, nur um des „Friedens“ willen. Aber was ist das für ein „Friede“, wenn es da drinnen (im Herzen, in der Seele) brodelt und kocht? Was ist das für ein „Friede“, wenn ein Vater, eine Mutter unter ihrem Dach Dinge dulden, die nicht nur ihrer Überzeugung, sondern den Geboten Gottes und den Weisungen der Kirche widersprechen? Um des Frieden willen, um der der Harmonie willen… Was ist das für ein Friede? Ist das wirklich der Friede, den die Engel den Hirten vor den Stadttoren Bethlehems verkündet haben? Ist das wirklich die Harmonie, die von der Heiligen Familie in Bethlehem bwz. später in Nazareth ausgeht?
Schauen Sie nochmals auf diese Figur (der Heiligen Familie). Sie passt in die Hand hinein, und deshalb habe ich sie immer in Griffnähe. Nicht nur an Weihnachten. So, wie diese harmonische Figur in meine Hand passt, so sind wir alle in Gottes Hand. Aber in Gottes Hand sind wir nur, wenn wir auch in seiner Ordnung sind und in seiner Ordnung bleiben. Wahrer Friede in der Familie, wirkliche, tiefe, echte Harmonie ist nur in Gottes Ordnung möglich. Alles andere sind faule Kompromisse.
- Wir dürfen doch nichts mehr sagen, wenn der Sohn / wenn die Tochter kaum mehr den Sonntagsgottesdienst mitfeiert. Mit 16 ist man schliesslich kirchlich mündig.
- Wir können doch nichts mehr sagen, wenn Sohn oder Tochter den Freund bzw. die Freundin heimbringt, und sie wie Mann und Frau zusammenleben. Das machen heute alle so…
Natürlich, ich bin auch nicht dafür, dass man ständig für Konflikt sorgt und immer Feuer im Dach ist. Aber es gibt immer wieder Möglichkeiten, wo man nicht nur etwas sagen darf, sondern auch etwas sagen muss. Kinder werden zwar den Jahren nach erwachsen, aber ein Vater bleibt immer der Vater und eine Mutter immer die Mutter. Und was unter dem eigenen Dach geschieht, bleibt immer ein Stück eigene Verantwortung.
Es geht ja letztlich nicht darum, zu moralisieren; schon gar nicht darum sich richtend über jemanden zu erheben. Aber es geht darum,, sich gegenseitig zu helfen, in der Ordnung Gottes zu bleiben und in seine Ordnung zurückzukehren.
Da haben Ihr Bundespräsident Horst Köhler sowie der Heilige Vater treffende Worte gefunden in ihrer Weihnachtsbotschaft. Sie haben mit unterschiedlichen Worten ziemlich dasselbe gesagt: Alles, was ausserhalb der Ordnung Gottes ist, dient dem Verfall, der Zerstörung.
Ja, liebe Mitchristen, die Welt ist aus den Fugen geraten. Finanz- und Wirtschaftskrise kommen nicht von ungefähr. Da sind schon die grossen Zusammenhänge von Ausbeutung, von Ungerechtigkeit, Betrug, Korruption usw weltweit zu sehen… Rückkehr in Gottes Ordnung ist angesagt, und zwar ganz dringend. Und diese beginnt im Kleinen, bei mir, bei Dir! In den Ehen, in den Familien.
Und deshalb hat das Fest der Heiligen Familie schon mit unserem konkreten Leben zu tun. Indem wir uns als Ehepartner, als Eltern, als Söhne oder Töchter… bemühen und uns gegenseitig helfen, in Gottes Ordnung zurückzukehren und in dieser Ordnung zu bleiben… das ist der Weg zur heilen, zur heilenden, zur heiligen Familie. Und die Welt von heute braucht heile Familien, damit nicht noch mehr zerbricht und auseinanderfällt.
GELOBT SEI JESUS CHRISTUS!
Bernhard Stephan Schneider Pfarrer St. Peter & Paul CH – 5612 Villmergen dasoffeneohr@pfarrei-villmergen.ch |
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